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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_398/2024  
 
 
Urteil vom 26. März 2025  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Viscione, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, 
Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Mai 2024 (IV.2023.00649). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1991, war zuletzt seit März 2020 als Finanzberater in Ausbildung bei der B.________ AG beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis wegen Überforderung per Ende November 2021. Im August 2021 meldete sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an und verwies in der Folge insbesondere auf seit mehreren Jahren zunehmende Schmerzen am Bewegungsapparat (Bericht der Klinik C.________ vom 22. April 2022). Die IV-Stelle des Kantons Zürich zog die Akten des Krankentaggeldversicherers bei. Danach wurde, nach entsprechendem Verdachtsbefund in der Klinik D.________, im Spital E.________, Klinik für Rheumatologie, nach einer Konsultation im Februar 2020 eine Fibromyalgie diagnostiziert (Bericht vom 25. Februar 2020). Gemäss Bericht des behandelnden Arztes Dr. med. F.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, der A.________ erstmals bereits ab November 2013 betreut hatte, trat im Februar 2021 erneut eine depressive Episode auf. Er bescheinigte eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit ab 1. März 2021. Im Januar 2022 wurde A.________ wegen beidseitiger Lungenembolien im Lungen-Zentrum der Klinik G.________ hospitalisiert und in der Folge durch PD Dr. med. H.________, FMH für Innere Medizin, Hämatologie, betreut. Zudem erfolgte im Februar 2022 eine gastroenterologische Abklärung im Zentrum für Magen-Darmkrankheiten der Klinik G.________. Der Krankentaggeldversicherer veranlasste eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit im Zentrum I.________ mit zusätzlicher neuropsychiatrisch-leistungspsychologischer Abklärung durch Dres. med. J.________, Facharzt FMH Psychiatrie und Psychotherapie, und K.________, Fachärztin FMH Neurologie (Gutachten vom 10. Mai 2022/23. Juni 2022; Reevaluation durch die Neurologin im September 2022). Gestützt auf die Stellungnahmen des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) lehnte die IV-Stelle einen Anspruch auf Invalidenrente mit Verfügung vom 1. November 2023 ab. 
 
B.  
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Zusprechung von beruflichen Massnahmen beziehungsweise einer Invalidenrente, eventuell nach weiteren medizinischen Abklärungen, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 15. Mai 2024 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Beschwerdegegnerin am 1. November 2023 verfügte Ablehnung eines Rentenanspruchs bestätigte. Zur Frage steht die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. 
Der Beschwerdeführer beantragt des Weiteren berufliche Massnahmen. Diese Frage liegt ausserhalb des verfügungsweise festgelegten Anfechtungs- und Streitgegenstandes. Aus dem Umstand, dass die IV-Stelle den Beschwerdeführer zur Stellensuche an das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum verwies, lässt sich nicht ableiten, dass sie sich damit zum invalidenversicherungsrechtlichen Anspruch auf berufliche Massnahmen geäussert hätte. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Prüfung des Anspruchs im Rahmen der Rentenzusprechung sind hier nicht erfüllt. Es ist daher insoweit auf die Beschwerde nicht einzutreten (in BGE 145 V 209 nicht veröffentlichte E. 2.2 des Urteils 8C_494/2018 vom 6. Juni 2019 mit Hinweis). 
 
3.  
Mit Blick auf den zu beurteilenden Rentenanspruch mit allfälligem Rentenbeginn im Februar 2022 sind die per 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Bestimmungen des IVG gemäss Änderung vom 19. Juni 2020 (Weiterentwicklung der IV WEIV, AS 2021 705, BBl 2017 2535) anzuwenden (BGE 150 V 323 E. 4). 
 
4.  
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und zur Invalidität (Art. 8 ATSG), zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 und 28b IVG) sowie zum Beweiswert von ärztlichen Berichten und Gutachten im Allgemeinen (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis) und von versicherungsinternen Stellungnahmen im Besonderen (BGE 139 V 225 E. 5.2; 135 V 465 E. 4.4.; 125 V 351 E. 3b/ee; 122 V 157 E. 1d) zutreffend dargelegt. Hervorzuheben ist, dass einem vom Krankentaggeldversicherer nicht im gesetzlich vorgesehenen Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholten Gutachten praxisgemäss lediglich der Beweiswert einer versicherungsinternen ärztlichen Stellungnahme zukommt (Urteile 8C_247/2024 vom 12. Dezember 2024 E. 2.3; 9C_634/2019 vom 12. November 2019 E. 4.3; 8C_71/2016 vom 1. Juli 2016 E. 5.2). 
 
5.  
 
5.1. Gemäss Vorinstanz ist der Beschwerdeführer gestützt auf die Stellungnahmen des RAD in der angestammten Tätigkeit zufolge eines generalisierten Schmerzsyndroms und bei vermehrtem Pausenbedarf (bedingt durch die Magenbeschwerden [Ileitis/Morbus Crohn]) zu 80 %, in einer leidensangepassten Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig. Aus psychiatrischer Sicht liege kein dauerhafter Gesundheitsschaden vor, zumal die vom behandelnden Psychiater gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu bestätigen sei.  
 
5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Resultate der Belastbarkeitstests seien im Gutachten des Zentrums I.________ zu Unrecht wegen einer vermeintlichen Selbstlimitierung, die sich allerdings bei der neuropsychologischen Abklärung nicht bestätigt habe, als nicht verwertbar erachtet worden. Die durch das Zentrum I.________ beigezogene Neurologin habe ursprünglich eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und damals das Erreichen eines 40- bis 50 %-Pensums in Aussicht gestellt. Anlässlich der Verlaufsabklärung habe sie aber, entgegen den vorinstanzlichen Feststellungen, weiterhin keine verlässliche längerfristige Prognose abgeben können. Offenbar habe sie eine Verifizierung mittels beruflicher Massnahmen als erforderlich erachtet. Als Grund für die Ressourcenlimitierung sei im Bericht über die neuropsychologische Abklärung insbesondere die Traumafolgestörung genannt worden, dies übereinstimmend mit den behandelnden Ärzten Dres. med. F.________ und H.________, welche das kantonale Gericht aber mit der RAD-Psychiaterin als irrelevant erachtet hätten. Der Beschwerdeführer beruft sich des Weiteren auf die Diagnose eines Morbus Crohn (beziehungsweise einer Ileitis terminalis als Frühform), die bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch den RAD zu Unrecht nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.  
 
6.  
 
6.1. Es ist zunächst daran zu erinnern, dass für sämtliche Arztberichte, die die Vorinstanz für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit als massgeblich erachtete, die für versicherungsinterne Stellungnahmen geltenden Regeln zur Anwendung gelangen. Sofern auch nur geringe Zweifel gegen deren Zuverlässigkeit sprechen, kann darauf nicht abgestellt werden (oben E. 4).  
 
6.2. Die Beschwerde richtet sich gegen die vorinstanzliche Annahme einer 100%igen Arbeitsfähigkeit trotz der erheblich voneinander abweichenden medizinischen Stellungnahmen von 40 bis 50 % beziehungsweise 100 %, wobei zusätzlich beanstandet wird, dass teilweise Diagnosen nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden seien.  
 
6.3. Während die Fachärzte des Zentrums I.________ für physikalische Medizin und Rehabilitation sowie Rheumatologie eine 100%ige Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit bescheinigten (worauf der RAD-Rheumatologe seinerseits abstellte), wurde aus der ebenfalls im Frühjahr 2022 erfolgten neuropsychiatrisch-leistungspsychologischen Abklärung durch Dres. med. J.________ und K.________ auf eine 100%ige Einschränkung des arbeitsbezogenen Funktionspotenzials erkannt. Diese Beeinträchtigung wurde vorab auf eine komplexe Traumafolgestörung zurückgeführt, wenn auch eine psychiatrische Herleitung der Diagnose im Bericht fehlt. Nach ihrer neurologischen Verlaufsabklärung im September 2022 ging Dr. med. K.________ zwar weiterhin von einer bloss vorübergehenden Beeinträchtigung aus. Indessen stellte sie eine lediglich leichte Befundbesserung fest, bescheinigte weiterhin eine 50- bis 60%ige Einschränkung und empfahl eine erneute Evaluation in rund zwei Monaten. Die dazu ergangene Stellungnahme der RAD-Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie weicht ihrerseits von derjenigen von Dr. med. K.________ erheblich ab. Gemäss RAD-Ärztin lasse sich eine posttraumatische Belastungsstörung (IDC10 F43.1) trotz der erlittenen Traumatisierungen nicht ableiten, da die dafür erforderliche Symptomatik fehle. Gleiches soll nach der RAD-Ärztin auch hinsichtlich der geklagten depressiven Episode gelten. Dabei nimmt sie keinerlei Bezug auf die Ausführungen der Dres. med. J.________ und K.________ oder auf die Stellungnahmen des behandelnden Psychiaters Dr. med. F.________ und begründet ihre Stellungnahme auch nicht weitergehend.  
 
6.4. Es bestehen somit erhebliche Widersprüche zwischen den verschiedenen Arbeitsfähigkeitseinschätzungen und es fehlt jeweils an einer Auseinandersetzung mit den abweichenden Stellungnahmen. Dies begründet hinreichende Zweifel an der Zuverlässigkeit sämtlicher versicherungsinterner Beurteilungen. Indem das kantonale Gericht den Bericht des Zentrums I.________ und die Stellungnahme der RAD-Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie selektiv als voll beweiskräftig erachtete, verletzte sie die hier anwendbaren Regeln über den Beweiswert dieser Stellungnahmen. Mangels zuverlässiger medizinischer Grundlagen für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ist die Sache zur erforderlichen weitergehenden Abklärung an die IV-Stelle zurückzuweisen.  
 
7.  
Die Rückweisung der Sache zum erneuten Entscheid kommt praxisgemäss einem Obsiegen gleich (BGE 146 V 28 E. 7; 141 V 281 E. 11.1). Dementsprechend hat die unterliegende Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Des Weiteren hat sie dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Mai 2024 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 1. November 2023 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. März 2025 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Viscione 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo