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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_664/2024  
 
 
Urteil vom 7. Mai 2025  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Viscione, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, Métral, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Volker Pribnow, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG, 
Mythenquai 2, 8002 Zürich, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Visana Versicherungen AG, Rechtsdienst, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. September 2024 (UV.2023.00145, damit vereinigt UV.2024.00027). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1984 geborene A.________ arbeitete seit 1. März 2017 zu 100 % als Rechtsanwältin bei der B.________ AG und war dadurch bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Zürich) obligatorisch unfallversichert. Am 12. Juli 2020 stürzte sie mit dem Fahrrad. Im Bericht des Spitals C.________ vom 13. Juli 2020 wurden ein leichtes Schädelhirntrauma sowie multiple Kontusionen und Excoriationen diagnostiziert. Die Zürich kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Sie holte u.a. ein interdisziplinäres (orthopädisch-traumatologisches, oto-rhino-laryngologisches und phoniatrisches, neurologisches, neuropsychologisches sowie psychiatrisches) Gutachten der MEDAS Zürich GmbH vom 25. Juli 2022 ein. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2022 stellte die Zürich die Leistungen per 30. September 2022 ein, da die Beschwerden der Versicherten nicht mehr natürlich und adäquat unfallkausal seien. Sie verzichtete auf eine Rückforderung der zu viel bezahlten Leistungen vom 1. Juni bis 30. September 2022. Auf Einsprache der Versicherten hin stellte die Zürich der MEDAS Ergänzungsfragen, welche diese am 17. April 2023 beantwortete. Mit Entscheid vom 21. August 2023 wies die Zürich die Einsprache ab. 
 
B.  
Die hiergegen von A.________ und ihrer Krankenasse (Visana Versicherungen AG) erhobenen Beschwerden wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 25. September 2024 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei die Zürich zu verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen, namentlich Taggelder und Heilbehandlungskosten, auch über den 30. September 2022 hinaus zu erbringen. Eventuell sei die Sache für weitere Abklärungen und einen anschliessenden Neuentscheid an die Vorinstanz, subeventuell an die Zürich, zurückzuweisen. 
Die Zürich schliesst auf Beschwerdeabweisung. Die Visana und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2, Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig ist, ob der vorinstanzlich bestätigte Fallabschluss per 30. September 2022 mit Verneinung eines weiteren Leitungsanspruchs der Beschwerdeführerin vor Bundesrecht standhält.  
 
2.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1) und bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 134 V 109 E. 6.1; 115 V 133) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der Voraussetzungen des Fallabschlusses mit Einstellung von Heilbehandlung und Taggeld sowie gleichzeitiger Prüfung der Ansprüche auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E. 4.3), der Voraussetzungen der Ansprüche auf Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) und Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 UVG; Art. 36 UVV), des massgebenden Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 271 E. 4.4) sowie des Beweiswerts ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 137 V 210 E. 1.4; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Darauf wird verwiesen.  
 
2.3. Zu wiederholen ist, dass die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle spielt, da sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 134 V 109 E. 2.1). Von solchen Unfallfolgen kann erst gesprochen werden, wenn die erhobenen Befunde mit apparativen/bildgebenden Abklärungen bestätigt werden und die angewendeten Untersuchungsmethoden wissenschaftlich anerkannt sind (BGE 138 V 248 E. 5.1).  
 
3.  
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob bei der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Fallabschlusses per 30. September 2022 ein unfallbedingter, organisch objektiv nachweisbarer Hirnschaden vorlag, was die Vorinstanz verneinte.  
 
3.2. Im interdisziplinären MEDAS-Gesamtgutachten vom 25. Juli 2022 wurde gemäss angefochtenem Urteil folgende unfallkausale Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit gestellt: Leichte neuropsychologische Funktionsstörung in Anlehnung an die Kriterien der Schweizerischen Vereinigung der Neuropsychologinnen und Neuropsychologen zur Bestimmung des Schweregrades einer neuropsychologischen Funktionsstörung. Als unfallkausale Diagnose ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit nannten sie: Eine mTBI Kategorie I nach den Guidelines der European Federation of Neurological Societies (EFNS) bei Zustand nach Fahrradsturz am 12. Juli 2020 (ICD-10: S06.0) mit/bei: In der aktuellen klinischen Untersuchung kein fokal-neurologisches Defizit, insbesondere keine Okulomotorikstörung und kein Hinweis für eine propriozeptive Störung; im cMRT vom 18. August 2020 und HWS-MRI vom 27. April 2021 keine Traumafolgen, im zerebralen MRI keine Microbleeds; in der Videookulographie am 19. Juli 2021 diskreter Upbeat-Nystagmus in Primärposition. Zur Arbeitsfähigkeit wurde in neurologischer Hinsicht festgehalten, die Beschwerdeführerin sei als Rechtsanwältin zu 100 % arbeitsfähig; ihre Leistungsfähigkeit sei neurologischerseits unter Ausklammerung der kognitiven Einschränkungen nicht eingeschränkt. Aus neuropsychologischer Sicht betrage die Arbeitsfähigkeit 60 %; die Beschwerdeführerin sei als Rechtsanwältin bei der Bearbeitung komplexer Mandate und Aufträge durch die exekutiven Einschränkungen und die Ermüdung in einem geschätzten Ausmass von 40 % beeinträchtigt, d.h. die Aufträge würden erschwert aufgefasst und die vielfältigen Informationen verlangsamt verarbeitet und zusammengeführt. In einer leidensangepassten Tätigkeit sei die Beschwerdeführerin aus neurologischer Sicht zu 100 % und aus neuropsychologischer Sicht zu 90 % arbeitsfähig.  
 
4.  
 
4.1. Die Gutachtensergänzung vom 20. März 2023 wurde gemäss Vorinstanz vom neurologischen Gutachter PD Dr. med. D.________ und vom neuropsychologischen Gutachter lic. phil. E.________ verfasst. Ersterer hielt u.a. fest, die im neuropsychologischen Gutachten erwähnten organischen Schäden des zentralen Nervensystems seien überwiegend wahrscheinlich unfallkausal. Der Nachweis von cMRT-Veränderungen (Microbleeds) mache das Vorliegen von persistierenden, traumabedingten kognitiven Störungen wahrscheinlicher, sei aber weder beweisend noch schliesse das Fehlen dieser Veränderung das Vorliegen einer traumatisch bedingten zerebralen Störung aus. Im Falle der Beschwerdeführerin stelle der gerätegestützte Nachweis der Augenbewegungsstörung (Upbeat Nystagmus) den Surrogatmarker für eine strukturelle zerebrale Schädigung dar. Der neuropsychologische Gutachter hielt u.a. fest, dass gerade die exekutiven funktionellen Netzwerke sensibel auf Veränderungen oder Störungen seien. Entsprechende Funktionsstörungen würden häufig nach Schädelhirntraumata beobachtet. Gemäss einer Publikation von SCHEID und VON CRAMON (Klinische Befunde im chronischen Stadium nach Schädel-Hirn-Trauma, Deutsches Ärzteblatt Jahrgang 107 [12] 2010, 199-205) liessen sich chronische Störungen affektiver und kognitiver Art (u. a. auch Fatigue und andere Verhaltensstörungen) im Sinne eines Post Concussion Syndroms auch nach einem leichten Schädelhirntrauma feststellen. Diese Störungen würden kontrovers diskutiert. Neuroradiologische Diagnostikinstrumente seien oft wenig hilfreich. Beziehungen zwischen klinischen und bildgebenden Befunden (wie GCS, Hirnschädigungsorte, Kontusionen, Mikroblutungen) hätten linear nicht hergestellt und abgebildet werden können. In der Gesamtschau der Befunde und unter Berücksichtigung der tadellosen Kooperation und dem Fehlen alternativer Ursachenfaktoren sei die neuropsychologische Zuordnung der beschriebenen Störungen als unfallbedingt erfolgt.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Die Vorinstanz argumentiert, es gehe nicht darum, ob sich die Augenbewegungsstörung apparativ-bildgebend objektivieren lasse. Beweisthema sei vielmehr, ob vom nachgewiesenen leichten Upbeat Nystagmus (Augenbewegungsstörung) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden könne, dieser sei von einem unfallbedingten, aber bildgebend nicht nachweisbaren Hirnschaden verursacht worden und habe die aus neuropsychologischer Sicht formulierte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit verursacht. Dieser Zusammenhang habe von den Gutachtern lediglich als möglich aufgezeigt werden können. Hieran ändere nichts, dass die Mitwirkung der Beschwerdeführerin bei den neuropsychologischen Untersuchungen nicht zu beanstanden gewesen sei.  
 
4.2.2. Dieser vorinstanzlichen Auffassung kann nicht gefolgt werden. Denn der neurologische Experte stellte in der Gutachtensergänzung vom 17. April 2023 fest, der gerätegestützte Nachweis der Augenbewegungsstörung bilde den Surrogatmarker für eine strukturelle zerebrale Schädigung bei der Beschwerdeführerin. Es liege eine leichte neuropsychologische Funktionsstörung vor, die überwiegend wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Unfall vom 12. Juli 2020 stehe. Es bestehe eine 40%ige Leistungsminderung in der angestammten Tätigkeit und eine 10%ige Leitungsminderung in einer angepassten Tätigkeit. Dies habe sich schon konkludent aus dem interdisziplinären Gesamtgutachten ergeben. Von einer blossen Möglichkeit des Vorliegens einer natürlich unfallkausalen strukturellen zerebralen Schädigung bei der Beschwerdeführerin kann somit entgegen der Vorinstanz nicht gesprochen werden.  
 
4.2.3. Nicht stichhaltig ist auch der vorinstanzliche Verweis auf die Rechtsprechung, wonach nach derzeitigem Wissensstand eine Neuropsychologin oder ein Neuropsychologe die Beurteilung der Genese einer angeblichen unfallkausalen Gesundheitsstörung nicht selbstständig abschliessend vornehmen könne (BGE 119 V 335 E. 2b/bb). Denn am interdisziplinären MEDAS-Gutachten und an dessen Ergänzung wirkte - wie erwähnt - ein neurologischer Facharzt mit (vgl. auch Urteil 8C_526/2021 vom 10. November 2021 E. 4.2.1).  
 
4.3. Zusammenfassend ist aufgrund des MEDAS-Gutachtens vom 25. Juli 2022 und der Gutachtensergänzung vom 17. April 2023 erstellt, dass bei der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Fallabschlusses per 30. September 2022 ein natürlich kausal auf den Unfall vom 12. Juli 2020 zurückzuführender, organisch objektiv nachweisbarer Hirnschaden vorlag, der eine neuropsychologische Funktionsstörung und eine damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit verursachte. Wenn die Vorinstanz dies verneinte, hat sie keine zulässige freie Beweiswürdigung vorgenommen, sondern das Gutachten bzw. die Gutachtensergänzung bezüglich spezifisch medizinischer Fragen selber interpretiert, was bundesrechtswidrig ist (vgl. auch Urteile 8C_516/2024 vom 25. Februar 2025 E. 4.2.2 und 8C_6/2024 vom 8. Mai 2024 E. 6.3, je mit Hinweisen). Die Sache ist daher an die Zürich zurückzuweisen, damit sie über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge.  
 
5.  
Die Rückweisung der Sache an die Zürich zu erneuter Beurteilung gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen der Beschwerdeführerin (vgl. BGE 146 V 28 E. 7). Die unterliegende Zürich hat somit die Gerichtskosten zu tragen und ihr eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1, Art. 68 Abs. 2 BGG). Zur Neuverlegung der Parteientschädigung des kantonalen Verfahrens ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. September 2024 und der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. August 2023 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Visana Versicherungen AG, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. Mai 2025 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Viscione 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar