Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_9/2024
Urteil vom 30. April 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Muschietti,
Bundesrichter von Felten,
Bundesrichterin Wohlhauser,
Bundesrichter Guidon,
Gerichtsschreiberin Arnold.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Christof Enderle,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln; Gültigkeit eines Strafbefehls,
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, vom 2. November 2023 (SB.2022.124).
Sachverhalt:
A.
Mit Strafbefehl vom 21. Juli 2021 verurteilte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt A.________ wegen Verletzung der Verkehrsregeln sowie Widerhandlungen gegen das SVG (Nichtbeachten des Vorschriftssignals "Fussgängerzone" und Nichtmitführen eines Fahrzeugausweises) zu einer Busse von Fr. 120.--. Sie wirft ihm vor, am 26. September 2020, um 07:30 Uhr, in Basel, Höhe U.________ (Kontrollort), mit einem Personenwagen in die "Fussgängerzone" gefahren zu sein und so das Vorschriftssignal nicht beachtet zu haben. Ferner habe er anlässlich der genannten Fahrt den Fahrzeugausweis nicht mitgeführt.
Gegen diesen Strafbefehl erhob A.________ Einsprache. Daraufhin überwies die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren am 16. März 2022 an das Einzelgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Stadt. Mit Eingabe vom 11. Juli 2022 reichte die Staatsanwaltschaft dem Einzelgericht Basel-Stadt den Strafbefehl nochmals ein, dieses Mal handschriftlich unterschrieben von der zuständigen Staatsanwältin. Auch dagegen erhob A.________ vorsorglich erneut Einsprache.
B.
Das Einzelgericht des Kantons Basel-Stadt sprach A.________ am 28. September 2022 der Verletzung der Verkehrsregeln und des Nichtmitführens von Ausweisen oder Bewilligungen i.S. des Strassenverkehrsgesetzes schuldig und büsste ihn mit Fr. 120.--. Ferner auferlegte es ihm die Verfahrenskosten.
C.
Mit Urteil vom 2. November 2023 stellte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt fest, dass der Schuldspruch wegen Nichtmitführens von Ausweisen oder Bewilligungen in Rechtskraft erwachsen ist. Zudem sprach es A.________ wegen Verletzung der Verkehrsregeln (Nichtbeachten des Vorschriftssignals "Fussgängerzone") schuldig, verurteilte ihn zu einer Busse in Höhe von Fr. 120.-- und auferlegte ihm sämtliche Verfahrenskosten.
D.
Gegen dieses Urteil erhebt A.________ Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil vom 2. November 2023 sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der Verletzung von Verkehrsregeln (Nichtbeachten des Vorschriftssignals "Fussgängerzone") vollumfänglich von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei das Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Appellationsgericht, eventualiter an die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt zurückzuweisen.
E.
Sowohl das Appellationsgericht als auch die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine Vernehmlassung und beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft verweist überdies auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze Art. 353 Abs. 1 lit. k und Art. 80 Abs. 2 StPO , da der Strafbefehl vom 21. Juli 2021 zweifelsfrei an einem Formmangel leide. Er argumentiert, der Strafbefehl sei lediglich mit einem "Faksimile-Stempel" versehen gewesen. Erst im Zuge des erstinstanzlichen Strafverfahrens am 11. Juli 2022 habe die Staatsanwältin eine Originalunterschrift auf eine Kopie des Strafbefehls gesetzt. Im Zentrum der Beurteilung der gerügten Verletzung von Art. 353 Abs. 1 lit. k und Art. 80 Abs. 2 StPO stehe BGE 148 IV 445, wonach beim Erlass eines Strafbefehls die persönliche handschriftliche Unterschrift ein formelles Gültigkeitserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit darstelle. Zudem habe das Bundesgericht in jenem Entscheid beurteilt, dass eine eigenhändig von der Staatsanwältin unterzeichnete Überweisungsverfügung den Formmangel des Strafbefehls nicht zu heilen vermöge. Eine Heilung resp. Nachbesserung im Sinne von Art. 385 Abs. 4 [recte Abs. 2] und Art. 110 Abs. 1 StPO sei nicht möglich. Überdies habe er gegen den genannten Strafbefehl rechtzeitig Einsprache erhoben. Gemäss Rechtsprechung falle mit der Einsprache der Strafbefehl dahin. Nachdem dieser somit durch die Einsprache dahingefallen sei, sei es nachfolgend gar nicht mehr möglich gewesen, den Strafbefehl mit einer Unterschrift auf einer Kopie zu retten. Vielmehr wäre die Staatsanwaltschaft gehalten gewesen, einen neuen original unterzeichneten Strafbefehl auszustellen und ihm zuzustellen. Die fehlende Unterschrift sei ein Formmangel, der von der ersten Instanz zu beachten gewesen wäre. Die Durchführung des Strafbefehlsverfahrens setze einen gültigen Strafbefehl voraus. Mit einer nachträglich beigefügten Unterschrift auf einer Kopie des Strafbefehls könne diese Gültigkeit nicht herbeigeführt werden. Das erstinstanzliche Gericht wäre verpflichtet gewesen, den ungültigen Strafbefehl gemäss Art. 356 Abs. 5 StPO aufzuheben und den Fall zur Durchführung eines neuen Vorverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
1.2. Die Vorinstanz erwägt, die Staatsanwaltschaft habe - im Nachgang zu BGE 148 IV 445 - mit Eingabe vom 11. Juli 2022 den Strafbefehl vom 21. Juli 2021 nochmals dem erstinstanzlichen Gericht eingereicht, dieses Mal ergänzt um die handschriftliche Unterschrift der zuständigen Staatsanwältin. Der ursprünglich mangelbehaftete Strafbefehl vom 21. Juli 2021 sei von der Staatsanwaltschaft mit dem Nachholen der eigenhändigen Unterschrift nach Massgabe der gesetzlichen Vorgaben nachgebessert worden. So habe die Staatsanwaltschaft sofort nach Ergehen des BGE 148 IV 445 ihre bisher gelebte Praxis angepasst. Die Nachbesserung sei im zu beurteilenden Fall nicht nur mittels unterschriebener Überweisungsverfügung erfolgt, sondern indem der ursprüngliche Strafbefehl nachträglich mit der Originalunterschrift versehen worden sei. Damit sei der Bedeutung der Rechtssicherheit im Strafrecht Genüge getan; der Beschwerdeführer sei keiner Rechte verlustig gegangen. Durch dieses Vorgehen habe die Staatsanwaltschaft einen prozessualen Leerlauf verhindert. Überdies sei bis zum Zeitpunkt der Nachbesserung die fehlende eigenhändige Unterschrift seitens des Beschwerdeführers auch nicht beanstandet worden (Urteil S. 5 f.).
1.3.
1.3.1. Die Verfahrensleitung des Gerichts hat nach Eingang eines als Anklage überwiesenen Strafbefehls gemäss Art. 356 Abs. 1 i.V.m. Art. 329 Abs. 1 StPO zu prüfen, ob (lit. a) die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind, (lit. b) die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind und (lit. c) Verfahrenshindernisse bestehen. Gemäss Art. 356 Abs. 2 StPO entscheidet das erstinstanzliche Gericht über die Gültigkeit des Strafbefehls und der Einsprache. Leidet der Strafbefehl an Mängeln formaler Natur, ist er ungültig. Das Gericht hebt ihn auf und weist den Fall zur Durchführung eines neuen Vorverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurück (Art. 356 Abs. 5 StPO; BGE 148 IV 445 E. 1.5.1; 141 IV 39 E. 1.5; je mit Hinweisen; Urteile 6B_1304/2018 vom 5. Februar 2019 E. 1.5; 6B_910/2017 vom 29. Dezember 2017 E. 2.4). Dies gilt auch für Strafbefehle, die mangels (eigenhändiger) Unterschrift ungültig sind. Der Erlass eines gültigen Strafbefehls bildet mithin die Voraussetzung der materiellen Beurteilung der Rechtssache durch das Gericht (BGE 148 IV 445 E. 1.5.1).
1.3.2. Gemäss Art. 353 Abs. 1 lit. k StPO enthält der Strafbefehl die Unterschrift der ausstellenden Person. Entscheide ergehen schriftlich und werden begründet. Sie werden von der Verfahrensleitung sowie der protokollführenden Person unterzeichnet und den Parteien zugestellt (Art. 80 Abs. 2 StPO).
1.3.3. Das Bundesgericht erwog im von der Vorinstanz und dem Beschwerdeführer zitierten BGE 148 IV 445 Folgendes: Eine fotokopierte oder faksimilierte Unterschrift auf der Eingabe einer Partei an die Behörden genügt den Formerfordernissen von Art. 110 Abs. 1 StPO nicht (BGE 148 IV 445 E. 1.3.1 mit Hinweis auf Urteil 6B_902/2013 vom 28. Oktober 2013 E. 3.2). Wo das Gesetz Schriftlichkeit explizit vorsieht, ist die Eingabe gemäss Art. 110 Abs. 1 Satz 2 StPO zu datieren und zu unterzeichnen, d.h. die Unterschrift eigenhändig anzubringen (BGE 148 IV 445 E. 1.3.1 mit Hinweis auf BGE 142 IV 299 E. 1.1 m.w.H.). Dieselbe Auffassung vertrat es in Bezug auf Entscheide. Gemäss Art. 80 Abs. 2 StPO ergehen Entscheide schriftlich und werden begründet. Sie werden von der Verfahrensleitung sowie der protokollführenden Person unterzeichnet und den Parteien zugestellt (BGE 148 IV 445 E. 1.3.2 mit Hinweisen). Während bei Art. 80 Abs. 2 StPO mit der handschriftlichen Unterzeichnung des Erkenntnisses die formelle Richtigkeit der Ausfertigung und deren Übereinstimmung mit dem vom Gericht gefassten Entscheid bestätigt wird, wird mit der Unterschrift auf dem Strafbefehl kenntlich gemacht, wer Aussteller desselben ist, wer diesen mithin erlassen und damit einhergehend über Schuld und Strafe entschieden hat. Die eigenhändige Unterschrift bezeugt, dass der Strafbefehl dem tatsächlichen Willen des ausstellenden Staatsanwaltes entspricht. Mithin erklärt auch der Unterzeichner eines Strafbefehls die Übereinstimmung dessen Inhalts mit dem von ihm gefassten Entscheid und zugleich die formelle Richtigkeit der Ausfertigung. In diesem Sinne stellt die persönliche handschriftliche Unterschrift auch beim Erlass eines Strafbefehls ein formelles Gültigkeitserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit dar (BGE 148 IV 445 E. 1.4.1 mit Hinweisen).
Zusammengefasst bietet demnach das Anbringen eines "Faksimile-Stempels" statt der handschriftlichen Unterschrift keine ausreichende Gewähr dafür, dass der ausgefertigte Strafbefehl inhaltlich und formell mit jenem Entscheid übereinstimmt, der von der Staatsanwaltschaft gefasst worden ist. Dies vermag einzig die eigenhändige Unterschrift der zuständigen Staatsanwältin zu bestätigen (BGE 148 IV 445 E. 1.3.1-1.4.1).
1.3.4. Vorliegend ist unbestritten, dass der Strafbefehl vom 21. Juli 2021 lediglich mit einem "Faksimile-Stempel" versehen war. Ebenfalls ist unbestritten, dass die Staatsanwaltschaft am 11. Juli 2022 dem zum damaligen Zeitpunkt die Verfahrensleitung innehabenden erstinstanzlichen Gericht den nachträglich durch die Staatsanwältin eigenhändig unterzeichneten Strafbefehl nochmals zugestellt hat. Dem Beschwerdeführer ist folglich zuzustimmen, dass der ursprüngliche Strafbefehl mit lediglich einem "Faksimile-Stempel" mangelhaft war, da es sich bei der eigenhändigen Unterschrift auf dem Strafbefehl um eine Gültigkeitsvorschrift handelt (vgl. vorne E. 1.3.3), die vorliegend nicht eingehalten war. Mit Blick auf BGE 148 IV 445 erweist sich der Strafbefehl vom 21. Juli 2021 zufolge Fehlens einer formgültigen Unterschrift der ausstellenden Staatsanwältin als ungültig. Im Zeitpunkt des Ausfällens des Strafbefehls wurde auch kein original unterzeichnetes Exemplar zu den Akten genommen. Zu prüfen bleibt, ob der von der zuständigen Staatsanwältin nachträglich eigenhändig unterzeichnete Strafbefehl vom 11. Juli 2022 den Formmangel geheilt hat.
1.4.
1.4.1. Das Bundesgericht erwog in BGE 148 IV 445, bezüglich der Heilung des Formmangels müsse unterschieden werden, ob auf die eigenhändige Unterschrift des Strafbefehls bewusst im Sinne einer eigentlichen Praxis verzichtet worden oder diese versehentlich unterblieben sei. So könne dann von einer Heilung ausgegangen werden, wenn die durch die zuständige Staatsanwältin erforderliche handschriftliche Unterzeichnung nicht bewusst, sondern namentlich versehentlich unterblieben sei (vgl. BGE 148 IV 445 E. 1.5.2 f.).
1.4.2. Was die Vorinstanz in diesem Zusammenhang erwägt, dringt nicht durch. Entgegen ihrer Annahme ist mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft der Bedeutung der Rechtssicherheit im Zusammenhang mit der vorliegend verletzten Gültigkeitsvoraussetzung nicht Genüge getan. Die handschriftliche Unterzeichnung des Strafbefehls soll kenntlich machen, wer dessen Aussteller ist und damit einhergehend über Schuld und Strafe entschieden hat (vgl. vorne E. 1.3.3). Zwar ist - wie bereits in BGE 148 IV 445 festgehalten - nicht auszuschliessen, dass eine Unterschrift im Einzelfall nachgeholt werden kann, insbesondere dann, wenn von einem Versehen ausgegangen wird. Im vorliegend zu beurteilenden Fall beruht die mangelhafte Unterschrift jedoch nicht auf einem Versehen, sondern auf derselben kantonalen Praxis wie jener, die dem BGE 148 IV 445 zugrunde lag. Unter diesen Voraussetzungen kann die nachträgliche Unterschrift den Formmangel nicht heilen. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weitere Kritik des Beschwerdeführers an der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts einzugehen.
2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 2. November 2023 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Appellationsgericht zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. April 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Arnold