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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_1050/2023  
 
 
Urteil vom 27. Mai 2025  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
nebenamtliche Bundesrichterin Schär, 
Gerichtsschreiber Lenz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Maria Riedo, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Postfach 1638, 1701 Freiburg, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vergehen gegen das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer; Verletzung des Anklagegrundsatzes, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, Strafappellationshof, vom 21. Juli 2023 
(501 2023 15). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 12. Oktober 2020 stellten Werkhofmitarbeiter der Gemeinde U.________ (heute: Gemeinde V.________) fest, dass Gülle vom Landwirtschaftsbetrieb B.________ in einen Strassenschacht austrat und anschliessend in den C.________bach gelangte, wo sich Schaum bildete und sich das Wasser trübte. A.________ war zu diesem Zeitpunkt (zusammen mit seiner Ehefrau) Pächter des Landwirtschaftsbetriebs B.________. 
A.________ wurde mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg vom 14. April 2022 der vorsätzlichen Widerhandlung gegen das Gewässerschutzgesetz (GSchG; SR 814.20) schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je Fr. 80.-- sowie einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt. A.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. 
Mit Urteil der Polizeirichterin des Sensebezirks vom 1. Dezember 2022, berichtigt am 12. Dezember 2022, wurde A.________ der fahrlässigen Widerhandlung gegen das Gewässerschutzgesetz schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je Fr. 80.-- sowie einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt. 
 
B.  
Das Kantonsgericht des Kantons Freiburg bestätigte am 21. Juli 2023 auf Berufung von A.________ hin das erstinstanzliche Urteil. 
 
C.  
A.________ erhebt am 29. August 2023 Beschwerde in Strafsachen und beantragt dem Bundesgericht die Aufhebung des Urteils vom 21. Juli 2023. Er sei vom Vorwurf des fahrlässigen Vergehens gegen das Gewässerschutzgesetz freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Mit Mitteilung vom 9. Dezember 2024 wurden die Parteien darüber orientiert, dass die Beschwerde in Umsetzung einer Entscheidung der Verwaltungskommission des Bundesgerichts, die sich auf Art. 12 Abs. 1 lit. c des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 (BGerR; SR 173.110.131) stützt, durch die II. strafrechtliche Abteilung in Lausanne behandelt wird. 
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. Es wurden die kantonalen Akten eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer wurde von der letzten kantonalen Instanz auf Berufung hin strafrechtlich verurteilt (Art. 80 und Art. 90 BGG). Er ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert und hat die Beschwerdefrist nach Art. 100 Abs. 1 BGG eingehalten. Die Beschwerde in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG) ist zulässig. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes. 
 
2.1. Er wendet ein, im zur Anklage erhobenen Strafbefehl vom 14. April 2022 sei das zentrale Sachverhaltselement die maximale Füllhöhe von 3 Metern gewesen. Die kantonalen Gerichte hätten jedoch nicht auf dieses Sachverhaltselement, sondern auf die Erfahrung des Beschwerdeführers als Landwirt und dessen Wissen um unbewilligte Installationen in der neuen Jauchegrube abgestellt, um ein Fahrlässigkeitsdelikt zu begründen. Die Polizeirichterin bzw. die Vorinstanz habe sich fälschlicherweise auf den Standpunkt gestellt, es genüge, wenn sich der Sachverhalt aus den Vorakten ergebe. Dem Beschwerdeführer werde damit im gerichtlichen Verfahren ein völlig anderes Verhalten zur Last gelegt als in der Anklage, was den Anklagegrundsatz verletze.  
 
2.2. Die Vorinstanz erwägt, die Polizeirichterin habe in ihrem Urteil denselben, vom Beschwerdeführer anerkannten äusseren Lebenssachverhalt, der Gegenstand des Strafbefehls vom 14. April 2022 gewesen sei, beurteilt, diesen aber rechtlich anders gewürdigt. Dazu sei sie gemäss Art. 350 Abs. 1 StPO befugt gewesen. In Abweichung vom Strafbefehl sei sie zum Ergebnis gelangt, das Verhalten des Beschwerdeführers begründe lediglich Fahrlässigkeit gemäss Art. 70 Abs. 2 GSchG. Dass sie bei ihrer - für den Beschwerdeführer günstigeren - abweichenden rechtlichen Würdigung nicht auf das im Strafbefehl zentrale Sachverhaltselement der maximalen Füllhöhe von 3 Metern, sondern auf die aus dem Vorverfahren und dem Hauptverfahren aktenkundige und damit hinreichend bekannte Erfahrung des Beschwerdeführers als Landwirt und dessen Wissen um unbewilligte Installationen in der neuen Jauchegrube abgestellt habe, stelle weder eine Konfrontation mit neuen Anschuldigungen dar, noch würden diesem damit zwei verschiedene Sachverhalte vorgeworfen. Dem Beschwerdeführer sei bekannt gewesen, welcher konkreten Handlung er beschuldigt werde (Verursachen einer Verunreinigung des C.________baches am 12. Oktober 2020 in U.________) und dass sein Verhalten anhand der übrigen aus dem Vorverfahren und dem Hauptverfahren erstellten Sachverhaltselemente rechtlich als Vorsatz oder - im günstigeren Fall - als Fahrlässigkeit qualifiziert werden könne. Inwiefern es dem rechtlich vertretenen Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund nicht möglich gewesen sein solle, seine Verteidigungsrechte angemessen auszuüben, sei nicht nachvollziehbar.  
 
2.3.  
 
2.3.1. Nach dem in Art. 9 Abs. 1 StPO festgeschriebenen Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt der Anklagegrundsatz den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 149 IV 128 E. 1.2; 144 I 234 E. 5.6.1; 143 IV 63 E. 2.2; je mit Hinweisen). Die beschuldigte Person muss unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion aus der Anklage ersehen können, was ihr konkret vorgeworfen wird. Dies bedingt eine zureichende, das heisst möglichst kurze, aber genaue (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO) Umschreibung der Sachverhaltselemente, die für eine Subsumtion unter die anwendbaren Straftatbestände erforderlich sind. Entscheidend ist, dass die betroffene Person genau weiss, welcher konkreter Handlungen sie beschuldigt und wie ihr Verhalten rechtlich qualifiziert wird, damit sie sich in ihrer Verteidigung richtig vorbereiten kann (BGE 143 IV 63 E. 2.2; Urteil 7B_240/2022 vom 1. Februar 2024 E. 3.2; je mit Hinweisen). Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken. Es ist Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen und darüber zu befinden, ob der angeklagte Sachverhalt erstellt ist oder nicht (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2; Urteil 7B_240/2022 vom 1. Februar 2024 E. 3.2; je mit Hinweisen). Dieses ist an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden (Art. 350 Abs. 1 StPO). Der Anklagegrundsatz ist verletzt, wenn die angeklagte Person für Taten verurteilt wird, bezüglich welcher die Anklageschrift den inhaltlichen Anforderungen nicht genügt, oder wenn das Gericht mit seinem Schuldspruch über den angeklagten Sachverhalt hinausgeht (Urteile 7B_540/2023 vom 6. Februar 2025 E. 5.2; 7B_240/2022 vom 1. Februar 2024 E. 3.2; 6B_424/2021 vom 26. Januar 2023 E. 1.2.2; 6B_1404/2020 vom 17. Januar 2022 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 148 IV 124; je mit Hinweisen).  
 
2.3.2. Hinsichtlich der Schuldform muss immer völlig klar sein, ob der beschuldigten Person Fahrlässigkeit oder vorsätzliche Begehung vorgeworfen wird, denn die beiden Varianten verlangen durchaus ein unterschiedliches Vorgehen der Verteidigung (BGE 120 IV 348 E. 3c). Handelt es sich um ein Fahrlässigkeitsdelikt, hat die Anklageschrift insbesondere die gesamten Umstände anzugeben, nach welchen das Verhalten der beschuldigten Person als pflichtwidrige Unvorsichtigkeit erscheint und inwieweit der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs für die beschuldigte Person voraussehbar und vermeidbar war (BGE 120 IV 348 E. 3c; Urteile 6B_25/2021 vom 20. Juli 2022 E. 2.3.1; 6B_1452/2019 vom 25. September 2020 E. 1.2; 6B_1142/2019 vom 2. März 2020 E. 3.1; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Zentraler Punkt der Anklage bildete vorliegend der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe von der maximalen Füllhöhe von 3 Metern sowie der Gefahr, die bei Überschreitung dieser Füllhöhe entstehe, Kenntnis gehabt. Er habe die Anlage trotzdem über diese maximale Füllhöhe hinaus benutzt und seinen Vater, der ihm auf dem Betrieb ausgeholfen und durch das Öffnen des Schiebers das Austreten der Gülle verursacht habe, nicht entsprechend instruiert. Der Beschwerdeführer habe durch die Nutzung einer Anlage mit unbewilligten Installationen in Kauf genommen, dass es bei einer Füllhöhe von über 3 Metern zu Gewässerverschmutzungen kommen könne und habe sich dadurch der Widerhandlung gemäss Art. 70 Abs. 1 lit. a GSchG schuldig gemacht.  
 
2.4.1. Die Vorinstanz bestätigt, dass ein Vorsatzdelikt angeklagt wurde. Sie selbst verneint allerdings mit der Polizeirichterin eine (eventual-) vorsätzliche Tatbegehung durch den Beschwerdeführer. Vielmehr habe dieser eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen, indem er die Anlage vor der Inbetriebnahme nicht gründlich auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft habe. Als erfahrener Landwirt hätte er die Anlage unter den gegebenen Umständen nicht in Betrieb nehmen dürfen, ohne vorher gewissenhaft zu überprüfen, ob und bis zu welcher Füllhöhe sie Gülle sicher zu speichern vermochte. Diese Sorgfaltspflicht habe unabhängig davon bestanden, ob der Beschwerdeführer von einer maximalen Füllhöhe gewusst habe oder nicht.  
 
2.4.2. Der Vorwurf, welchen die Polizeirichterin und in der Folge auch die Vorinstanz gegen den Beschwerdeführer erheben, unterscheidet sich entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht vom Vorwurf, welchen die Staatsanwaltschaft in der Anklage gegen den Beschwerdeführer formuliert hat. Während dem Beschwerdeführer in der Anklage zur Last gelegt wurde, er habe um die maximale Füllhöhe von 3 Metern gewusst und eine Überschreitung dieser und damit eine Gewässerverschmutzung in Kauf genommen, basiert der Schuldspruch der kantonalen Gerichte nicht mehr auf dem sicheren Wissen des Beschwerdeführers um die maximale Füllhöhe. Vielmehr werfen sie dem Beschwerdeführer vor, er sei seiner Prüfpflicht nicht nachgekommen und habe deswegen eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen. Das ist nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht etwas anderes. Der Beschwerdeführer musste somit nicht damit rechnen, sich gegen einen Fahrlässigkeitsvorwurf zur Wehr setzen zu müssen.  
 
2.4.3. Daran ändert entgegen der Ansicht der Vorinstanz nichts, dass sich die Sachverhaltsfeststellung auf Beweise stützt, die sich aus den Akten ergeben und dass aus dem Vor- und Hauptverfahren bekannt gewesen sei, dass der Beschwerdeführer als erfahrener Landwirt um die unbewilligten Installationen gewusst habe. Der massgebliche Sachverhalt muss sich aus der Anklageschrift ergeben, was vorliegend mit Blick auf eine fahrlässige Deliktsbegehung nicht der Fall war. Es ist nicht zulässig, unter Rückgriff auf die Akten den Tatvorwurf in Abweichung von der Anklage zu definieren (vgl. Urteil 6B_431/2010 vom 24. September 2010 E. 3.3), weil ansonsten der Anklagegrundsatz ausgehöhlt würde.  
 
2.4.4. Das Urteil beruht somit auf einem Tatvorwurf, der in der Anklage nicht erhoben wurde. Die Abweichung betrifft keinen untergeordneten Punkt, sondern den Kern des Tatvorwurfs, weshalb der Anklagegrundsatz verletzt und die Beschwerde begründet ist. Damit braucht auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nicht eingegangen zu werden.  
 
3.  
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz hat zu prüfen, ob gestützt auf die Anklage ein Schuldspruch ergehen kann. Andernfalls wird sie über das weitere Vorgehen zu befinden haben. Gegebenenfalls hat sie die Angelegenheit zur Änderung der Anklage an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen (vgl. zur Möglichkeit einer Änderung der Anklage gemäss Art. 333 Abs. 1 StPO nach einer Rückweisung durch das Bundesgericht BGE 148 IV 124 E. 2.6.3 mit Hinweisen). Soweit im Hauptantrag ein direkter Freispruch beantragt wird, ist die Beschwerde dagegen abzuweisen. 
Bei diesem Ergebnis hat der Beschwerdeführer hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen als vollständig obsiegend zu gelten, auch wenn das Rückweisungsbegehren den Eventualantrag darstellt (BGE 141 V 281 E. 11.1). Demnach sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Freiburg hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, Strafappellationshof, vom 21. Juli 2023 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Freiburg hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Mai 2025 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Lenz