Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_609/2024
Urteil vom 26. Juni 2025
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Viscione, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Métral,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
Verfahrensbeteiligte
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8 (Neuwiesen), 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Pascal Engelberger,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. September 2024 (AL.2024.00075).
Sachverhalt:
A.
Der 1969 geborene A.________ war vom 15. April 2005 bis 31. Dezember 2022 als Geschäftsführer mit Einzelunterschrift bei der B.________ GmbH (seit April 2023: B.________ GmbH in Liquidation), angestellt. Vom 6. Dezember 2006 bis 17. Mai 2023 war er als Gesellschafter und Geschäftsführer der B.________ GmbH mit Einzelunterschrift, ab April 2023 als Gesellschafter ohne Zeichnungsberechtigung, zuletzt mit Stammanteilen von 25 %, im Handelsregister eingetragen. Als Gesellschafter, Geschäftsführer und Liquidator mit Einzelunterschrift wurde im April 2023 C.________ im Handelsregister eingetragen. Am 4. Dezember 2022 meldete sich A.________ zur Arbeitsvermittlung an und am 23. Dezember 2022 beantragte er Arbeitslosenentschädigung ab 1. Januar 2023. Mit Verfügung vom 28. April 2023 (bestätigt mit Einspracheentscheid vom 25. Mai 2023) verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung unter Hinweis auf seine als Gesellschafter und Geschäftsführer bestehende arbeitgeberähnliche Stellung im Betrieb. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, als dass es diesen aufhob und die Sache an die Kasse zurückwies, damit diese nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu entscheide (Urteil vom 17. Oktober 2023). Auf die von der Kasse dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht nicht ein (Urteil 8C_762/2023 vom 12. Dezember 2023).
Nach weiteren Abklärungen bestätigte die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom 18. Januar 2024, dass A.________ infolge seiner arbeitgeberähnlichen Stellung ab 1. Januar 2023 keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung habe. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 8. März 2024).
B.
In teilweiser Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 8. März 2024 auf und stellte fest, dass A.________, soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien, ab dem 1. Oktober 2023 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung habe; im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Urteil vom 2. September 2024).
C.
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, das Urteil des kantonalen Gerichts vom 2. September 2024 sei in Bestätigung des Einspracheentscheids vom 8. März 2024 aufzuheben.
A.________ lässt beantragen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Das kantonale Gericht und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Vorweg ist zu konstatieren, dass die Beschwerdeführerin ihre Rüge einer Bundesrechtsverletzung in Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil eingehend begründet. Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, kann entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners auf das Rechtsmittel eingetreten werden (vgl. Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 146 V 331 E. 1).
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie feststellte, der Beschwerdegegner habe ab 1. Oktober 2023 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien.
4.
Gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Praxisgemäss ist diese der Vermeidung von Missbräuchen dienende Bestimmung analog auf arbeitgeberähnliche Personen und deren Ehegatten anzuwenden, die Arbeitslosenentschädigung verlangen (BGE 145 V 200 E. 4.1 mit Hinweisen). Wie die Rechtsprechung mehrmals betont hat, ist dieser Ausschluss absolut zu verstehen (BGE 123 V 234 E. 7; 122 V 270 E. 3; Urteile 8C_146/2020 vom 17. April 2020 E. 3; 8C_574/2017 vom 4. September 2018 E. 5.2). Es ist somit nicht möglich, den betroffenen Personen unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall Leistungen zu gewähren. Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG bezweckt, dem Risiko eines Missbrauchs zu begegnen, das der Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung an arbeitgeberähnliche Personen und deren Ehegatten inhärent ist. Dieses Risiko ist dasselbe, ob es nun um Arbeitslosen-, Kurzarbeits- oder Insolvenzentschädigung (vgl. Art. 51 Abs. 2 AVIG) geht (BGE 142 V 263 E. 4.1 mit Hinweis).
5.
5.1. Das kantonale Gericht stellte fest, dass der Beschwerdegegner bis zu seinem Rücktritt per 5. April 2023 als Geschäftsführer der B.________ GmbH fungiert habe, weshalb ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung infolge seiner arbeitgeberähnlichen Stellung gestützt auf Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG für den Zeitraum vom 1. Januar 2023 bis 5. April 2023 unbestrittenermassen ausser Betracht falle. Nach dem 5. April 2023 bis zur Löschung der B.________ GmbH aus dem Handelsregister im Mai 2024 sei der Beschwerdegegner weiterhin deren Gesellschafter geblieben. Im Nachgang zum Liquidationsbeschluss vom April 2023 sei er aber auch mit faktischen Liquidationsaufgaben, so unter anderem mit der Aufnahme und dem Verkauf des Betriebsinventars, betraut worden. In Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gemäss Urteil 8C_514/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 4.3.2, wonach ein Missbrauchsrisiko ausscheide, wenn es praktisch nichts mehr zu liquidieren gebe und eine Reaktivierung bzw. Rückgründung als ausgeschlossen erscheine, könne ein Missbrauchsrisiko vorliegend mit der Auflösung des Betriebslagers per Ende September 2023 verneint werden. Deshalb sei ab 1. Oktober 2023 ein Anspruch des Beschwerdegegners auf Arbeitslosenentschädigung grundsätzlich zu bejahen, soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien.
5.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, mit dem angefochtenen Urteil werde Bundesrecht, konkret Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG, verletzt, indem gestützt auf eine Einzelfallprüfung ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Oktober 2023 bejaht werde. Bei Gesellschaftern einer GmbH ergebe sich die massgebliche Einflussnahme jedoch von Gesetzes wegen, wobei es unerheblich sei, ob im Einzelfall tatsächlich rechtsmissbräuchlich Arbeitslosenentschädigung ausgerichtet werde.
6.
6.1. Die Kasse weist zutreffend darauf hin, dass sich der massgebliche Einfluss eines Gesellschafters oder einer Gesellschafterin einer GmbH (mit oder ohne Geschäftsführerfunktion) gemäss ständiger Rechtsprechung ohne Weiteres aus der Gesellschafterstellung an sich ergibt (BGE 145 V 200; E. 4 hiervor). Eine Prüfung des Einzelfalles ist diesfalls nicht erforderlich, denn die massgebliche Entscheidungsbefugnis geht (zwingend) aus dem Gesetz selbst hervor (vgl. Art. 804 ff. OR; BGE 145 V 200 E. 4.2).
6.2. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner bis zur im Mai 2024 erfolgten Löschung der B.________ GmbH in Liquidation als Gesellschafter im Handelsregister eingetragen blieb. Die arbeitgeberähnliche Stellung des Beschwerdegegners stand somit zufolge der von ihm beibehaltenen Funktion als Gesellschafter ohne weitere Prüfung im Einzelfall fest. Es ist der Kasse somit beizupflichten, dass für die vorinstanzlich vorgenommene Einzelfallprüfung kein Raum bestand.
6.2.1. Nichts anderes ergibt sich aus der im angefochtenen Urteil (und letztinstanzlich auch vom Beschwerdegegner) zitierten Rechtsprechung, wonach Liquidatoren (und deren Ehepartner) "nur" in der Regel vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ausgeschlossen sind und in diesem Fall eine Prüfung des Missbrauchsrisikos aufgrund der konkreten Umstände stattfinden kann (ARV 2015 S. 69, 8C_514/2014 E. 4 mit Hinweisen; Urteil 8C_379/2022 vom 21. November 2022 E. 5.1.2 u. 5.2.5). Der vorliegenden Streitigkeit liegt allerdings entgegen der Ansicht der Vorinstanz keine Konstellation zugrunde, die eine solche Einzelfallprüfung erlauben würde. Denn als Liquidator war hier nicht der Beschwerdegegner, sondern ein anderer Gesellschafter im Handelsregister eingetragen. Indem der Beschwerdegegner - neben dem eingesetzten Liquidator und den anderen Gesellschaftern - weiterhin in der GmbH verblieb, behielt er somit die sich bereits aus dem Gesetz ergebenden Befugnisse zur massgeblichen Einflussnahme bei. Der Ausschluss vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ist daher absolut zu verstehen (vgl. E. 4 hiervor). Allein aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdegegner (nach eigenen Angaben) auch mit Liquidationsaufgaben betraut worden war, durfte das kantonale Gericht daher keine Einzelfallprüfung vornehmen.
6.2.2. Stichhaltige Gründe für eine Besserstellung des Beschwerdegegners als mit gewissen Liquidationsaufgaben betrauter Gesellschafter im Vergleich zu anderen Gesellschaftern ohne solche Aufgaben werden weder von der Vorinstanz noch vom Beschwerdegegner namhaft gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
6.2.3. Aus dem Verweis auf das Nichteintretensurteil 8C_762/2023 vom 12. Dezember 2023 und das Rückweisungsurteil des kantonalen Gerichts vom 17. Oktober 2023 lässt sich keine Verpflichtung der Verwaltung oder der Vorinstanz zu einem Entscheid anhand einer Einzelfallprüfung ableiten. Es trifft zwar zu, dass die Kasse im Rückweisungsurteil zu weiteren Abklärungen der konkreten Umstände des Einzelfalls verhalten worden war. Darüber hinaus hatte das kantonale Gericht jedoch keine Vorgaben gemacht, welche die Beschwerdeführerin dazu gezwungen hätten, eine aus ihrer Sicht rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Insbesondere stand es der Kasse auch nach durchgeführter Abklärung weiterhin frei, entsprechend ihrer Überzeugung neu zu verfügen (vgl. Nichteintretensurteil 8C_762/2023 vom 12. Dezember 2023 E. 3.2).
7.
Steht somit fest, dass der Beschwerdegegner aufgrund seiner arbeitgeberähnlichen Stellung als Gesellschafter von vornherein, also ohne weitere Prüfung, vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ausgeschlossen ist, hat die Kasse einen solchen Anspruch ab 1. Januar 2023 zu Recht verneint. Indem die Vorinstanz einen Anspruch auf Arbeitslosentaggelder aufgrund einer Einzelfallprüfung ab 1. Oktober 2023 grundsätzlich bejaht, verletzt sie Bundesrecht. In Gutheissung der Beschwerde ist deshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und der Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin vom 8. März 2024 ist zu bestätigen.
8.
Der unterliegende Beschwerdegegner trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die Sache geht zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das kantonale Gericht zurück (Art. 68 Abs. 5 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. September 2024 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 8. März 2024 bestätigt.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 26. Juni 2025
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Viscione
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz