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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_464/2024  
 
 
Urteil vom 17. März 2025  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Haag, Präsident, 
Bundesrichter Kneubühler, 
nebenamtlicher Bundesrichter Weber, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, 
Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Entzug des Führerausweises für Motorfahrzeuge; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern vom 30. Juli 2024 (300.2024.131). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Verfügung vom 18. Juni 2024 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern (SVSA) A.________ den Führerausweis für Motorfahrzeuge für drei Monate in Anwendung von Art. 16c Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a und Art. 16 Abs. 3 SVG wegen Lenkens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand mit einer qualifizierten Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration, begangen am 2. Juni 2024. Gegen diese Verfügung erhob A.________ mit Eingabe vom 4. Juli 2024 Beschwerde bei der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern. Mit Verfügung vom 8. Juli 2024 wurde er zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 800.-- bis am 29. Juli 2024 aufgefordert. Am 15. Juli 2024 stellte er ein Gesuch um Befreiung von der Pflicht zur Leistung eines Kostenvorschusses. Am 30. Juli 2024 wies der Präsident der Rekurskommission das Gesuch ab und setzte eine bis zum 20. August 2024 laufende Nachfrist an. Dabei drohte er an, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werde, sollte der Kostenvorschuss innert der Nachfrist nicht bezahlt werden. 
 
B.  
Gegen diese Verfügung erhebt A.________ am 10. August 2024 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Dabei stellt er das Rechtsbegehren, die Verfügung sei aufzuheben und ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege im Beschwerdeverfahren bei der Rekurskommission zu gewähren. Als Begründung führt er an, die Beschwerde sei vom Präsidenten der Rekurskommission als aussichtslos beurteilt worden, bevor überhaupt ein rechtskräftiges Urteil vorliege. Die Verordnung der Bundesversammlung vom 15. Juni 2012 über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr (SR 741.13; im Folgenden: BAGV) halte einer näheren Überprüfung nicht stand, werde doch nicht ausgeführt, wie sich die Atemalkoholkonzentration berechne oder wie die Umrechnung in Blutalkoholkonzentration erfolge. Ebenso beanstandet er, dass die Nachfrist für die Leistung des Kostenvorschusses 10 Tage vor Ende der Beschwerdefrist ablaufe.  
 
Die Rekurskommission und das SVSA schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 147 I 89 E. 1; 146 II 276 E. 1; je mit Hinweis). 
 
1.1. Die Eingabe richtet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid eines oberen Gerichts über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 93 BGG). Ein solcher Zwischenentscheid kann selbständig angefochten werden, falls er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Rechtsprechungsgemäss ist das bei der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege der Fall, wenn der rechtsuchenden Person, die mangels verfügbarer Mittel nicht in der Lage ist, den Kostenvorschuss zu leisten, der Prozessverlust droht (vgl. BGE 142 III 798 E. 2; 129 I 129 E. 1.1; Urteil 1B_414/2022 vom 14. Februar 2023 E. 1.1 f.; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Eingabe betrifft mit Blick auf die im Streit liegende Hauptsache eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG; vgl. BGE 137 III 380 E. 1.1), da im Beschwerdeverfahren bei der Vorinstanz eine Verfügung über einen Führerausweisentzug angefochten ist. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass und sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.  
 
2.  
 
2.1. Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (Art. 29 Abs. 3 BV). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind als aussichtslos Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie - zumindest vorläufig - nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 142 III 138 E. 5.1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Vorinstanz hat das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen, da es aussichtslos sei. Aus den Akten gehe hervor, dass der Beschwerdeführer mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 1. Juli 2024 wegen Fahren in angetrunkenem Zustand, begangen am 2. Juni 2024, schuldig gesprochen worden sei. Der Beschwerdeführer habe in seiner Beschwerde erklärt, er habe gegen diesen Strafbefehl Einsprache erhoben. Die Vorinstanz ist jedoch davon ausgegangen, es liege eine schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften vor, da der Beschwerdeführer nicht bestreite, ein Fahrzeug mit einer qualifizierten Atemalkoholkonzentration geführt zu haben. Damit sei die Beschwerde aussichtslos, weil die angeordnete Dauer des Führerausweisentzuges von drei Monaten der gesetzlichen Mindestentzugsdauer entspreche (Art. 16c Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdeschrift vom 4. Juli 2024 bei der Vorinstanz geltend gemacht, er habe gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft bereits Beschwerde erhoben, soweit es um den Vorwurf gehe, er habe die Angabe seines Namens verweigert und sei alkoholisiert gefahren. Die unentgeltliche Prozessführung sei verweigert worden, ohne dass ein rechtskräftiges (Straf-) Urteil gegen ihn vorliege. Was das Administrativverfahren angehe, bestreite er nicht, das Fahrzeug in angetrunkenem Zustand geführt zu haben. Die Angabe beziehe sich jedoch auf den Alkoholgehalt in der Atemluft. Obwohl eine Umrechnung in Promille eigentlich nicht möglich sei, gehe man doch davon aus, dass zur Berechnung des Promillegehalts eine Multiplikation mit dem Faktor 2 dienlich sei. Dies würde zu einem Promillegehalt von 0.9 führen.  
 
2.4. Die Verwaltungsbehörde hat - sofern eine Anzeige bei der Strafverfolgungsbehörde erfolgt oder mit einer solchen zu rechnen ist - mit ihrem Entscheid grundsätzlich zuzuwarten, bis ein rechtskräftiger Strafbefehl bzw. ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, soweit der Sachverhalt oder die rechtliche Qualifikation des infrage stehenden Verhaltens für das Verwaltungsverfahren von Bedeutung ist. Damit soll vermieden werden, dass derselbe Lebensvorgang zu voneinander abweichenden Sachverhaltsfeststellungen von Verwaltungs- und Strafbehörden führt und die erhobenen Beweise unterschiedlich gewürdigt und rechtlich beurteilt werden. Das Strafverfahren bietet bessere Gewähr dafür, dass das Ergebnis der Sachverhaltsermittlung näher bei der materiellen Wahrheit liegt (zum Ganzen: BGE 119 Ib 158 E. 2c/bb; Urteile 1C_246/2024 vom 8. Januar 2025 E. 4.1.2; 1C_581/2016 vom 9. März 2017 E. 2.3; je mit Hinweisen). Ein entsprechender Antrag der betroffenen Person ist nicht erforderlich: Die Verwaltungsbehörde wartet den Strafentscheid von Amtes wegen ab, indem sie das Verfahren aussetzt oder sistiert (BGE 119 Ib 158 E. 2c/bb; 6A.121/2000 vom 7. Juni 2001 E. 3b).  
 
Eine Ausnahme ist zulässig, wenn der massnahmerechtlich relevante Sachverhalt zweifelsfrei erstellt und in Bezug auf den Schuldpunkt der in Frage stehenden SVG-Widerhandlung keinerlei Zweifel bestehen. In einem solchen Fall braucht die Verwaltungsbehörde den Ausgang des Strafverfahrens nicht abzuwarten (BGE 119 Ib 158 E. 2c/bb; Urteile 2C_684/2023 vom 4. November 2024 E. 4.1.1 mit Hinweisen; 6A.121/2000 vom 7. Juni 2001 E. 3a). Im zuletzt genannten Urteil hielt es das Bundesgericht für zulässig, dass das Verwaltungsgericht über den Entzug des Führerausweises entschieden hatte, ohne das Ergebnis des Strafverfahrens abzuwarten. Es erwog, dass der damalige Beschwerdeführer seine schwere Ladung völlig unzureichend gesichert habe, könne aufgrund des Polizeirapports nicht ernsthaft in Frage stehen. Dasselbe gelte hinsichtlich der gefahrenen Geschwindigkeit, die sich anhand des sichergestellten Fahrtenschreiber-Einlageblattes zweifelsfrei ermitteln lasse. Inwiefern der Beschwerdeführer dies angesichts der klaren Beweislage ernsthaft bestreiten wolle, sei unerfindlich. Schliesslich wies das Bundesgericht darauf hin, dass es vorteilhaft sei, wenn die Verwaltungsmassnahme zeitlich nicht zu weit vom verfahrensauslösenden Vorfall entfernt sei, damit sie ihre Wirkungen im Interesse der Verkehrssicherheit sinnvoll entfalten könne (a.a.O., E. 3a). 
 
2.5. Im vorliegenden Fall wurden beim Beschwerdeführer gemäss dem Polizeirapport vom 2. Juni 2024 und dem Anzeigerapport vom 6. Juni 2024 am Ort der Verkehrskontrolle mit einem Atemalkoholtestgerät zwei Atemalkoholproben genommen. Anschliessend wurde der Beschwerdeführer auf die Polizeiwache gebracht, damit dort Nachforschungen zu seiner Identität gemacht und eine weitere Atemalkoholprobe genommen werden konnte, diesmal mit einem Atemalkoholmessgerät. Die Atemalkoholprobe mit dem Atemalkoholmessgerät ergab 0,45 mg/l. Laut Protokoll wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er eine Blutprobe verlangen könne.  
 
2.6. Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich der polizeilichen Messung der Atemalkoholkonzentration sowohl im vorinstanzlichen Verfahren als auch in seiner Beschwerde an das Bundesgericht keinerlei Unregelmässigkeiten geltend gemacht, sondern lediglich auf die Schwierigkeit der Umrechnung von der Atemalkoholkonzentration in die Blutalkoholkonzentration hingewiesen. Dass sich eine gemessene Atemalkoholkonzentration nicht verlässlich und unmittelbar in eine Blutalkoholkonzentration umrechnen lässt, ist gemäss der Rechtsprechung allgemein anerkannt. Dieser Umstand spielt jedoch keine entscheidende Rolle, weil gemäss Art. 5 Abs. 6 SVG i.V.m. Art. 2 BAGV entweder auf den einen oder anderen Wert abgestellt werden kann und der Gesetzgeber die Unsicherheit bei der Umrechnung im Rahmen der Festlegung der Grenzwerte berücksichtigt hat (s. im Einzelnen Urteil 6B_404/2022 vom 2. August 2023 E. 4.3.2 mit Hinweisen; Botschaft vom 20. Oktober 2010 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr, BBl 2010 8518 Ziff. 2.3).  
 
2.7. Da die mit einem Messgerät durchgeführte Messung als Beweis gilt (Urteil 6B_404/2022 vom 2. August 2023 E. 4.3.3 f. mit Hinweisen), der Beschwerdeführer nichts vorbringt, was an den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen Zweifel aufkommen liesse, und die Schwelle der qualifizierten Atemalkoholkonzentration von 0,4 mg/l (Art. 2 lit. b BAGV) mit 0,45 mg/l gemäss diesen Feststellungen deutlich überschritten ist, ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz das Rechtsmittel als aussichtslos qualifizierte.  
 
2.8. Unbegründet ist auch die Rüge, die Vorinstanz habe eine Frist zur Leistung des Kostenvorschusses angesetzt, die vor der Frist für die Beschwerde an das Bundesgericht abgelaufen sei. Die Behörde ist nicht verpflichtet, die Zahlungsfrist mit der Rechtsmittelfrist zu koordinieren (Urteile 2C_1044/2015 vom 7. Januar 2016 E. 2.2; 2C_703/2009 vom 21. September 2010 E. 4.3).  
 
3.  
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Die Vorinstanz wird dem Beschwerdeführer eine neue Frist zur Leistung des Kostenvorschusses anzusetzen haben (vgl. Urteil 5A_267/2013 vom 10. Juni 2013 E. 9 mit Hinweis). 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung, das gestützt auf Art. 64 Abs. 1 BGG genehmigt werden kann. Es sind deshalb keine Gerichtskosten zu erheben. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird bewilligt. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt und der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. März 2025 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Haag 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold